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“Es ist ein Armutszeugnis für die Schweiz”

RDB

Mit dem Ammann Verlag verschwindet einer der letzten Schweizer Literaturverlage mit internationalem Renommee. Für den Schriftsteller Thomas Hürlimann geht damit nicht nur ein Stück Heimat verloren, sondern auch ein wichtiger Förderer der Schweizer Literatur.

swissinfo.ch: Egon Ammann lancierte 1981 mit Ihrem Prosadebüt “Die Tessinerin” seinen Verlag. Was bedeutet die Schliessung des Verlags für Sie persönlich?
Thomas Hürlimann: Für mich ist es der Verlust eines Stücks Heimat. Im Tages-Anzeiger wurde der Verlag mit einem Schiff verglichen, der “MS-Ammann”.

Ich dachte, ja so ist es, jetzt muss ich von Bord gehen.

Ich war etwa 14 Jahre alt, als ich angefangen habe zu schreiben. Der erste, der einen Prosa-Text von mir genommen und gesagt hat, der ist gut, den veröffentlichen wir, war 14 Jahre später Egon Ammann.

So hat die Zusammenarbeit angefangen: Mein Start war auch der Seine.

Aus dem Verlag, der damals sozusagen nur aus dem Wohnzimmer der Ammanns bestand, ist ein Unternehmen geworden. Der Verlag hat sich seither verändert und auch der Autor – das hoffe ich jedenfalls.

Trotzdem sind wir immer gute Freunde geblieben und haben gemeinsam versucht, unsere Spuren zu legen.

swissinfo.ch: Ammann gab Ihnen die Möglichkeit, Ihren Weg zu gehen und hielt auch in kritischen Phasen zu Ihnen. Wird es in Zukunft noch solche Verlage geben, die das Risiko eingehen, unbekannte Autoren zu lancieren und auf eine enge Bindung Wert legen?

T.H.: Ich habe in Berlin in den letzten Jahren mit Erstaunen festgestellt, dass es mehrere junge Verlage gibt, die sich mutig in dieses schwierige Geschäft begeben. So wie das auch Ammann gemacht hat.

Um einen Verlag wie den Ammann Verlag zu führen, braucht es unglaubliche Kraft und persönlichen Einsatz, der keine Wochenenden und keine Nächte kennt.

Das ist mit zunehmender Lebensdauer schwierig: Es zehrt an den Kräften.

Wie Ammann mit einem Satz aus dem Alten Testament so schön sagte: Alles hat seine Zeit. Die einen gehen, die anderen kommen.

swissinfo.ch: Egon Ammann und seine Frau haben sich für den Verlag und gegen ein Privatleben entschieden. Dazu ist seiner Meinung nach die jüngere Generation nicht mehr bereit.

T.H.: Diese Schwierigkeit haben auch andere Verlage. Es hat auch etwas mit den Problemen eines Familienunternehmens zu tun, das an die Gründerfiguren gebunden ist.

Der ehemalige Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld hatte Ammann ursprünglich Suhrkamp Zürich übergeben, in der Hoffnung, dass dieser eventuell eines Tages seinen Verlag übernehmen könnte.

Aber Ammann wollte einen Ammann Verlag. Er wollte sein eigenes Programm aufstellen und seine eigenen Ideen verwirklichen. Das halte ich für eine sehr natürliche Sache. Ein solcher Verlag ist mit einem Namen verbunden, man kann ihn nicht so ohne weiteres weiterführen.

Traurig ist, dass diese Art von Verlag, die mit der Persönlichkeit der Verleger steht und fällt, es wahrscheinlich in Zukunft schwierig haben wird.

swissinfo.ch: Wo liegt denn die Zukunft der Schweizer Verlage?

T.H.: Ich glaube nicht, dass sich das Verlagswesen grundsätzlich verändern wird.

Im Moment sieht es so aus, als würden es die grossen Verlagskonzerne und die ganz kleinen Verlage schaffen. In der Mitte wird es schwierig.

swissinfo.ch: Was passiert jetzt mit jungen Schweizer Autoren, die auf einen Verlag wie den Ammann Verlag angewiesen sind?

T.H: Wir Autoren, die jetzt bei Ammann sind, werden allein durch den Namen des Verlags auf dem Markt ein gewisses Renommee haben, der uns den Wechsel zu anderen Verlagen ermöglicht.

Aber für unser Land, für die Schweiz, da ist etwas Schlimmes passiert. Denn Ammann hat immer auch Schweizer Literatur gesucht und gefördert.

Wer heute in der Schweiz ein Buch schreibt und einen Verlag sucht mit Ausstrahlung im ganzen deutschen Sprachraum, der wird es sehr viel schwerer haben.

Für die Schweiz ist das ein grosser Verlust. Es ist auch ein Armutszeugnis, dass es hierzulande immer wieder zu solchen Schliessungen kommt. Dass es unser Land irgendwie nicht schafft, zu sich selber, zu seiner eigenen Kultur Sorge zu tragen.

swissinfo.ch: Weshalb nicht?

T.H.: Es gilt teilweise noch immer, was Gottfried Keller gesagt hat: Für die Kultur ist hierzulande ein Holzboden ausgelegt – im Gegensatz etwa zu Österreich, wo Verlage und Theater vom Staat subventioniert werden.

Es hat auch damit zu tun, dass die Deutschschweiz für einen Verlag ein sehr kleiner Raum ist. Obwohl man sagen muss, dass das, was auf diesem kleinen Raum passiert, eigentlich ganz gewaltig ist.

Zudem macht die hohe Lohnsumme es den Verlagen in der Schweiz schwer, auf dem internationalen Markt zu bestehen.

swissinfo.ch: Ammann wollte Literatur als Kunst machen. Doch literarische Werke scheinen es in Zeiten des Internets und Gratiszeitschriften schwierig zu haben.

T.H.: Dass Bücher keine Chancen mehr haben sollen, das ist purer Mumpiz. Es wird immer Leute geben, die Geschichten erzählen und solche, die Geschichten hören möchten. Manchmal brennen Bibliotheken ab, aber erstaunlicherweise überleben die Bücher.

Und vergessen wir nicht, dass die hohe Literatur nicht so sehr auf die Gegenwart angewiesen ist. Vom ersten Buch von Kafka wurden 17 Stück verkauft, heute erzielt es in der ganzen Welt Millionenauflagen.

Bücher haben Zeit. Ein Buch kann in einem Büchergestell verstauben – und eines Tages greift eine Hand danach.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Der Zürcher Ammann Verlag debütierte 1981 mit Thomas Hürlimanns Prosaband Die Tessinerin.

Nun stellt der renommierte Verlag auf den 30. Juni 2010 seine Verlagstätigkeit ein, wie die Verlagsgründer Egon Ammann und Marie-Luise Flammersfeld anfangs Woche bekannt gaben.

Die Gründe für diesen Entschluss lägen im fortgeschrittenen Alter der Verleger und “in einer Marktsituation, die für Literatur zunehmend schwierig wird”.

Ein Verlag vom Profil des Ammann Verlags sei eng an die verantwortlichen Personen gebunden und könne ohne sie nicht fortbestehen.

Während seiner Tätigkeit entdeckte und förderte der Verlag zahlreiche zeitgenössische deutsch- und fremdsprachige Autoren aus allen fünf Kontinenten.

Bedeutende Weltliteratur wurde zum Teil erstmals in die deutsche Sprache übersetzt und veröffentlicht, so Werke von Fernando Pessoa, Ossip Mandelstan und Antonio Machado.

Ammann initierte auch die Neuübersetzung der “Elephanten” von Fjodor Dostojewski durch Swetlana Geier.

Zu den Ammann-Autoren gehören unter anderen Ulrich Peltzer, Erika Burkart, Hansjörg Schneider und Ruth Schweikert. Zudem verhalf der Verlag Schriftstellern wie Julia Franck und Thorsten Becker zu erfolgreichen Debüts.

Thomas Hürlimann wurde 1950 als Sohn des späteren Bundesrats Hans Hürlimann in Zug geboren.

Er studierte Philosophie an der Universität in Zürich und an der Freien Universität Berlin.

Von 1982 bis 1985 war er Regieassistent und Dramaturg am Berliner Schillertheater.

Hürlimann ist Korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Künste, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt und Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Er lebt in Berlin.

Als Autor debütierte Thomas Hürlimann mit dem Prosaband Die Tessinerin (1981), der im Ammann Verlag erschien.

Zum erzählerischen Werk gehören insbesondere Das Gartenhaus, Der Gesandte, Die Satellitenstadt, Das Holztheater und Der grosse Kater.

Für Fräulein Stark wurde er mit dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet. Für Vierzig Rosen erhielt er 1990 und 2007 den Schillerpreis der Schweizerischen Schillerstiftung.

Alle Bücher von Hürlimann sind im Ammann Verlag erschienen.

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