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Ein Stück Land im Garten Eden

Den engen Wohnungen entfliehen und im "Garten Eden" den Alltag vergessen. outnow.ch

Im Film "Unser Garten Eden" führt Regisseur Mano Khalil in einen multikulturellen Mikrokosmos der Schweiz. Er erzählt die Geschichte von entwurzelten Menschen, die sich in einem Schrebergarten in Berns Westen ein Stück Heimat schaffen.

Ein üppiges Wuchern von Stangenbohnen, Tomaten, Salaten, Krautstielen, Karotten, Sonnenblumen und Heckenrosen.

Darin stossen Männer mit Bier oder Sliwowitz an, eine Frau mit Kopftuch lockert mit einer Hacke die Erde, eine andere bäckt im Steinofen türkisches Fladenbrot, ein Schwarzer erntet Bohnen. Das Brutzeln des Fleisches auf einem Grill wird von balkanischer Akkordeon-Musik übertönt, von Gelächter und Gesang. Willkommen im Schrebergarten Bottigenmoos bei Bern!

“Das beste Leben in der Schweiz ist in meinem Garten”, sagt ein Kroate mit Sonnenbrille, der entspannt unter einem Sonnenschirm im Liegestuhl liegt. Hier könne er die Arbeit vergessen, mit Kollegen zusammensitzen und feiern.

Menschen aus über 20 Nationen

Menschen aus über 20 verschiedenen Nationen leben im Bottigenmoos auf engstem Raum zusammen: Von den 148 Parzellen sind 89 an Ausländer verpachtet. Auf rund 150m2 bewirtschaften sie ihr Fleckchen Erde.

Mit ihren aus Brettern und Wellblech zusammen gezimmerten Gartenhäuschen haben sie sich ein kleines Rückzugsgebiet, eine eigene kleine Welt im Grünen geschaffen, um ihren kleinen Wohnungen in den Hochhäusern zu entfliehen. Und stolz haben sie auf ihrem Grundstück die Fahne ihres Heimatlandes gehiesst: Im Bottigenmoos wehen serbische, bosnische, türkische und kurdische Fahnen nebeneinander.

Den Regisseur Mano Khalil, der 1993 als kurdischer Regisseur aus Syrien fliehen musste, hat dieses Zusammenleben von Menschen aus verschiedensten Kulturen fasziniert, und er hat darüber einen Film gemacht. “In ihrem Land würden sie einander nicht mal grüssen, hier grillieren Bosnier und Serben, Türken und Kurden zusammen und trinken Bier. Das ist für mich gelebte Schweizer Demokratie, sagt Khalil.

Ausländern eine Stimme geben

Mano Khalil gibt in seinem Dokumentarfilm “Unser Garten Eden. Geschichten aus dem Schrebergarten” seinen ausländischen Mitmenschen eine Stimme. Menschen, die in der Schweiz wieder bei Null anfangen mussten.

Da ist etwa der in Frankreich aufgewachsene Algerier Mohammed, der als einer der ersten Schwarzen nach Bern kam und seit 46 Jahren mit der Schweizerin Marguerite verheiratet ist, mit der er vier Kinder hat.

Sie habe, als sie Mohammed kennenlernte, nicht gesehen, dass er schwarz sei, sie sei einfach von ihm fasziniert gewesen, sagt Marguerite und lacht. “Ich bin Protestantin, mein Mann ist Muslim und das war noch nie ein Problem.” Nicht mit Bitterkeit, sondern mit Humor spricht das Paar über diskriminierende Bemerkungen und Anfeindungen. Für die beiden ist ihre Ehe ganz einfach die natürlichste Sache der Welt.

Und da ist Domenico, der vor 45 Jahren aus Kalabrien als Saisonnier in die Schweiz kam. Domenico, der Fischer werden wollte und in der Schweiz gestrandet ist. Der kein Deutsch spricht, weil er immer dachte, er werde wieder in seine Heimat zurückkehren.

Der Mann, der in der Schweiz beim Bau von Hunderten von Kilometern von Strassen und Tunneln mitgearbeitet hat, ist heute ärmer als bei seiner Ankunft in der Schweiz, wie er sagt. Für Domenico ist heute klar: “Wenn ich nochmals 20 Jahre alt wäre, würde ich in Italien bleiben, auch wenn ich nur ein Stück Brot hätte.”

“Verlorene Träume”

“Das ist die Tragödie von Ausländern, die denken, sie würden wie die Schwalben in ihr Nest zurückkehren”, sagt Mano Khalil. “Menschen, die nicht die Absicht haben, hier zu bleiben und deren Koffer jahrelang gepackt neben dem Bett steht.” Khalil sieht die zahlreichen Fahnen im Schrebergarten denn auch als Symbol für “verlorene Träume”.

Sie sind für Khalil Teil einer Lebenslüge mit der die Emigranten die Illusion aufrechtzuerhalten versuchen, dass es das Land, das sie einst verlassen haben, so noch gibt. “Doch sie vergessen, dass sowohl sie als auch ihr Heimatland sich seit ihrer Abreise verändert haben.”

Strenger Präsident

Für Mano Khalil ist der Schrebergarten ein Mikrokosmos der Schweiz, in dem ebenso strenge Regeln gelten. Über die Einhaltung der Gesetze und die Beachtung der zahlreichen Verbotstafeln wacht der Präsident Giuseppe, der stets in Anzug und Krawatte und in Halbschuhen auftritt.

Kompromisslos und machtbewusst führt der Coiffeur aus Italien das Zepter im Bottigenmoos, fast so als sei er Herr über ein ganzes Land. Und wehe dem, der es wagt, am Sonntag zu arbeiten, sein Gartenhäuschen oder sein Holzlager einige Zentimeter zu hoch zu bauen oder irgendwelche Forderungen zu stellen.

Giuseppes “Führungsstil” trifft nicht nur auf Zustimmung. “Berlusconi, Mussolini”, beschimpft ihn etwa ein ausländischer Gartenbesitzer an der Generalversammlung. “Präsident Bush hat seine Kanonen, ich habe nur meine Nerven und muss schauen, dass ich sie nicht verliere”, so der Schrebergarten-Präsident.

Schwein und Lamm

Doch wie es sich für einen richtigen “Garten Eden” gehört, werden hier Konflikte wenn möglich gelöst.

“Das wichtigste ist eine gemeinsame Sprache. Denn nur wenn man zusammen spricht, findet man eine Lösung für Probleme,” sagt Mano Khalil.

Exemplarisch für eine solche Lösungsfindung steht im Film der “Säulitempel”. Auf Wunsch von Serben und Kroaten sowie von Schweizern, die sich über “unhygienisches Grillen” beklagten, wird – nach einjähriger Korrespondenz mit dem Bauinspektorat über Vorschriften und Reglemente – der Bau eines Spanferkelgrills in Angriff genommen.

Das stösst jedoch den muslimischen Gartenbesitzern sauer auf: Sie wollen ihr Lamm nicht auf dem Spanferkel-Spiess grillen. Nach einer Debatte um Spiesse, die in der Skurilität an die Minarett-Debatte erinnert, wird der Grill schliesslich umgebaut.

Beim grossen Gartenfest am Schluss von Khalils Film braten Schwein und Lamm auf zwei verschiedenen Spiessen im gleichen Ofen über dem Feuer.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Mano Khalil ist Kurde und wurde 1964 in Syrien geboren.

Er studierte von 1981 bis 1986 Geschichte und Jurisprudenz an der Syrischen Universität in Damaskus.

1987 bis 1994 Studium in
der Fachklasse Filmregie an der Film- und Fernsehakademie in der ehemaligen
Tschechoslowakei.

1990 bis 1995 Tätigkeit als Regisseur beim Tschechoslowakischen und später beim Slowakischen Fernsehen.

1990 bis 1995 Nebenrollen
in verschiedenen Spielfilmen in der ehemaligen Tschechoslowakei.

Seit 1995 ist Khalil Regisseur, Produzent und Kameramann in der Schweiz.

2009 Unser Garten Eden
2006 David der Tolhildan
2005 Al-Anfal – “im Namen von Allah, Baath und Saddam”
1998 Triumph of Iron

Kurzfilme:

2003 Bunte Träume
1995 Kinoeye
1993 The Place where God Sleeps
1992 My God
1991 Oh Father
1990 Embassy
1989 My Pain, my Hope
1988 Oh World

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